Was sagen den geneigten Lesern die Ortsnamen Wutha, Mölmen, Petkus, Krätzersrasen oder gar Klein Berlinchen? Nichts? Nun, dann waren sie wohl noch nicht auf dem Rennsteig unterwegs. Die alten Herren des TSV 03 schlossen diese zweifellos nicht unwesentliche Wissenslücke bei ihrer achten Mehrtageswanderung über Fronleichnam ohne - ich greife vor - auch nur einen winzigen Anhaltspunkt von etwas zu entdecken, was man sich so unter "Klein Berlinchen" vorzustellen glaubt. Selbst die Bezeichnung Rennsteig muss man im Nachhinein als mindestens irreführend deklarieren, denn an hurtige Fortbewegung und schnelles Ankommen war bei den vom jungfräulichen Organisationsteam Sputti/Enfuchs ausbaldowerten Tagesetappen nicht zu denken. Das lag aber in erster Linie an der schwülheißen Witterung, der respekteinflößenden Topographie und nicht zuletzt der Getränkevielfalt bei der Bahnanreise, die jeder Bar der großen Schwester von Klein Berlinchen zur Ehre gereicht hätte. Selbst ein 5l-Partyfass hatte den Weg in einen der ansonsten nur mit dem Notwendigsten bestückten Rucksäcke gefunden. So ging es nach der Ankunft in Eisenach um die Mittagszeit zunächst nur schleppend hinauf, doch die Wartburg musste sein, von der hatte man schließlich schon etwas gehört. Müh-, weil bierselig war er, der Anstieg zum Weltkulturerbe, das einst von Jörg dem Springer als einfache Festung gegründet und zwischenzeitlich Martin Luther als Versteck und Ort der Inspiration gedient hatte. In nur elf Wochen übersetzte Luther das Neue Testament aus der altgriechischen Sprache in die deutsche. Das ist manchem Wolfskehler Wirt mit seiner Speisekarte in dreißig Jahren nicht gelungen. Möglicherweise genoss Luther zwischendurch auch mal die herrlichen Ausblicke aus über 400 Metern Höhe auf den Thüringer Wald, ganz sicher aber auch das eine oder andere Bier und wenigstens darin taten wir es ihm gleich. Bei Temperaturen deutlich über dreißig Grad wäre der eine oder andere sicher gerne noch etwas im lauschigen Biergarten sitzen geblieben und hätte dafür vielleicht auch eine Bibel-Übersetzung in Kauf genommen, doch man war schließlich nicht zum Spaß hier, sondern zum Wandern. Die erste Tagesetappe zum Waldgasthof und Rennsteighotel "Hubertushaus" über prognostizierte 12 Kilometer zog uns schnell in ihren Bann, die Gespräche verstummten, wurden bald aber wieder lebhafter, als man feststellte, dass die Einkehrmöglichkeiten nie gekannte Ausmaße annahmen. Ja, so hatte man sich das auch in den vergangenen sieben Jahren vorgestellt, aber eben in den seltensten Fällen angetroffen. Alle ein bis zwei Kilometer eine Gelegenheit zum Verweilen und Abschalten von allzuviel Natur und Stille. Kleine Paradiese wie der "Rastplatz Hohe Sonne" und die "Rasthütte am Rennsteig" versorgten uns fortan zur rechten Zeit mit dem Nötigsten, bevor wir an unserem Tagesziel eintrafen. Dort fühlten wir uns sofort gut aufgehoben, die auf uns einprasselnde ruppige Rhetorik des Servicepersonals trieb so manchem die Tränen in die Augen, erinnerte sie doch stark an zahllose Abende in einem jüngst geschlossenen Erlebnislokal in heimischen Gefilden. Das leckere Essen ließ uns über die verbalen Entgleisungen der blonden Fee großzügig hinweghören. Der Spaß wurde nur kurzfristig durch den Radlerschock des Batwiesers getrübt, der ihn wie einst den Kletterer beim Dummschwätzer am Rheinsteig ereilte, worauf er sein Abendmahl der Allgemeinheit spendete. Doch als sich die Stimmung bei zwei mehr oder weniger spontanen Gesangseinlagen für Jubilar Paul dem Siedepunkt zuneigte, wurden wir per last Order kurz nach 22 Uhr in die spartanischen Betten komplimentiert. Zugegeben, das war auch gut so, denn im Morgengrauen lauerte die Königsetappe über 16km, 400 Höhenmeter und den großen Inselsberg. Große Hoffnungen für die nähere Zukunft hegte man nach Einnahme des Frühstücks noch nicht, doch was soll man sagen: "Woas en scheene Doag" wartete auf uns. Los ging es, als man nach kurzer Wegstrecke auf den heiligen Berg einer Wolfskehler Dynastie von Kirchendienern traf - den Glöckner am Rennsteig, ein herrlicher Aussichtspunkt. Klar, dass sich Manni dort verewigte. Nur wenig später folgte man einer spontanen Eingebung, kehrte in die "Waldschänke Dreiherrnstein" ein und fand Kreuzberger Klosterbier vom Fass! Diesem Idyll gab man sich bei guten Gesprächen und mehreren Steinkrügen fast zu lange hin, denn am Horizont drohte bereits der Große Inselsberg mit seinen mehr als 900 Metern Höhe. Laut Wikipedia der "höchste Berg der nordwestlichen Hälfte des Mittleren Thüringer Waldes" und "ein Quarzporphyr-Härtling, der aus den umliegenden weicheren Schichten herausgewittert ist". Alles klar? Jedenfalls zog sich die Etappe jetzt für die teilweise verwitterten Härtlinge aus dem mittleren hessischen Ried, warum auch immer. Oben angekommen lohnte die grandiose Rundumsicht alle Mühen und der nahezu dehydrierte Altfußballerr labte sich alsbald am unvermeidlichen Wernesgrüner. Man tat allerdings gut daran, nicht allzu lange zu verweilen und strebte wohl von einer Ahnung getrieben dem Tagesziel "Haus am Reitstein" (Kleiner Inselsberg) zu. Das erwies sich als vorausschauend, denn auch hier schloss die Küche bereits um 19 Uhr. Was bei der Ankunft bedeutete: Bestellen, kasernenähnliche Behausung aufsuchen, Katzenwäsche, Essen fassen, zwei Bier trinken, ein Kümmerling auf's Haus und sich auf der Straße wiederfinden. Gemütlich scheinen die nicht zu sein, die Thüringer, zumindest dort, wo wir sie angetroffen haben. Den Abend retteten wir mit einem überteuerten Kasten War(m)steiner, der ob seiner körpernahen Temperatur nicht einmal vollständig verzehrt wurde. Der abschließende Samstag brachte erneut Sonne und Wärme für (fast) ganz Deutschland und Nebel und Nieselregen für den kleinen Inselsberg und so reduzierte sich das Häuflein der Wanderer auf zwei durchnässte Gestalten, die der Rest mit dem Linienbus Nummer 42 auf dem Weg von Brotterode über Ruhla nach Eisenach wieder auflas. In Eisenach trennte man sich bester Laune bis zum nächsten Jahr, wenn Ober-Seemen droht. Während drei Kameraden zwecks Konzertbesuch zur großen Schwester von Klein Berlinchen weiterreisten, bekam der Rest auf seinem Heimweg nach Frankfurt von der Deutschen Bundesbahn noch einen kostenlosen Ausflug mit dem ICE über Messel und Darmstadt-Kranichstein spendiert, so dass man just in time zum Relegationsspiel wohlbehalten wieder in Wolfskehlen eintraf. Fazit: tolles Wetter, prima Einkehr und ein Team, das sich mittlerweile ohne viele Worte versteht!