...geht immer noch Gehfußball. Nach zwei Corona-Jahren, in denen man sich zweimal zum Erfahrungsaustausch im Haisterbacher Biergarten getroffen hatte, musste 2022 wieder eine Mehrtages-Wanderung her. Doch wohin so kurzfristig? Die Lösung war das Jugend- und Feriendorf des Kreises Groß-Gerau in Ober-Seemen (Vogelsberg). Kein Wolfskehler Knabe, der dort nicht mindestens eine zweistellige Anzahl von Freizeiten in seiner Kindheit und Jugend verbracht hatte und mit entsprechenden Traumata gesegnet war. Riesige Blechkannen mit Hagebuttentee, Aufräumen und Spüldienst in der Küche sowie endlose Fußmärsche durch die Wallachei war man von zu Hause nicht gewohnt und hatten sich tief ins Gedächtnis eingebrannt. Da musste im Vorfeld bei den mittlerweile ganz alten Herren viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, doch der Durchbruch bei den Anmeldungen wurde erst durch die Kombination mit einem Seminar unter dem Thema "Gehfußball" erreicht. Das interessiert unsere Generation so brennend wie "sind Rente und Bierpreis noch sicher?". Und da viele tatsächlich in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Vogelsberg ihre ersten fußballerischen Gehversuche unternommen hatte, fand man das Motto passend. Elf hoffnungsfrohe Best-Ager machten sich schließlich auf die Reise, jedoch nicht ohne im Vorfeld intensiv nach Informationen gesucht zu haben. Sogar einen Spähtrupp hatte man an einem Mittwochabend zu einem entsprechend spezialisierten Nachbarverein geschickt, doch die Kiebitze kamen schulternzuckend zurück: an der Art, wie dort Fußball gespielt wurde, hatte sich scheinbar nichts geändert. Also hieß es, selbst Fortschritte zu wagen. Im Feriendorf angekommen fand man ein wahres Schmuckstück von Unterkunft vor, dessen Preis-/Leistungsverhältnis unschlagbar ist. Was man beim Ausladen nicht fand, war ein Ball, dessen Platz hatte man den in den besten Jahren unbedingt notwendigen Nahrungsergänzungsmitteln geopfert. Nach Einnahme des Abendessens ging es zur ersten Trainingseinheit, einer Kombination aus Theorie und Praxis. Drei Kilometer Fußweg hinab ins Dorf zur Gaststätte Lapp, drei Stunden Diskussionen mit dem Arbeitstitel "Oaner geht noch" und wieder drei Kilometer nach oben in die Doppelstockbetten. Das war intensiv und ein wenig fußlahm und schwerfällig blickte man am nächsten Morgen in den Nieselregen. Ein Königreich für einen Ball als Ausrede, die avisierte Konditionseinheit nicht absolvieren zu müssen. Doch zur Traumabewältigung war die anstehende Wanderung zum Hoherodskopf unabdingbar, dem heiligen Berg unseres ehemaligen Jugendtrainers und Wanderfreunds Hans Schäfer. Unterwegs war eigentlich alles wie immer: fehlende Beschilderung, Umwege durch Unterholz und über Skipisten, ca. 25 Argumente des Organisators, warum gerade jetzt ein guter Zeitpunkt zur Umkehr wäre, aber auch viel Landschaft und Gaststätten, die samstagsmorgens um neun schon ihre Pforten öffnen. Paradiesisch letzteres, gemessen am eigenen Wohnort. Nach gut fünf Stunden, fünfzehn Kilometern und dreihundert Höhenmetern waren die überwiegend erschöpften Rudeltiere am Gipfel des ehemaligen Vulkans angelangt, eine Bilanz, die der eine oder andere ansonsten in einem kompletten Jahr nicht absolviert. Und so machten sich natürlich nur die vier schon früher unangenehm Ehrgeizigen per pedes auf den Rückweg, den sie auch prompt in neuer Weltrekordzeit von gut 100 Minuten für zehn Kilometer absolvierten. Dass dabei sämtliche Annehmlichkeiten des Hinwegs auf der Strecke blieben, muss nicht erwähnt werden. Der Rest labte sich derweil an Thüringer Würsten, Schwarzwälder Kirsch und Halbliterhumpen und kehrte per Taxi in die Unterkunft zurück. Die Energiebilanz des Tages vollends zum Kippen brachten das vorzügliche, aus Jägerschnitzeln mit Pommes bestehende Abendmahl im Feriendorf und die unerwartet üppigen Getränkevorräte, die durch das vorausschauende Agieren unseres zweiten Doktors zu später Stunde noch einmal sinnvoll ergänzt werden konnten. Fast beiläufig wurde eine zweite Theorieeinheit absolviert, die mit themengerechter Musik wie Walking in my shoes, Go your own way, das unvermeidliche You'll never walk alone und den Derbyhit Walk on the wild side untermalt wurde. Beim Frühstück am nächsten Morgen dann das befürchtete Fazit: informativ und schee war's, aber die meisten von uns werden doch eher das Level "Gehfußball" überspringen und sich fortan als Stehfußballer bei den sonntäglichen Spielen unserer aktiven Mannschaften vergnügen.